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26.04.2023

Heimat(er)kunde(n): Joseph Franz von Allioli und sein Bibel-Bestseller

Heimat(er)kunde(n):
Joseph Franz von Allioli (1793-1873) und sein Bibel-Bestseller
Vor 30 Jahren hat Sulzbach-Rosenberg einen seiner großen Söhne fast dem Vergessen entrissen: den Bibeltheologen, Philologen und Orientalisten Joseph Franz von Allioli. An seinem 120. Todestag (22. Mai 1993) eröffnete nach feierlicher Messe in der Pfarrkirche und Festakt im Rathaus das Stadtmuseum eine Sonderausstellung*, die später auch in Regensburg und Augsburg zu sehen war. Mitgerechnet…? Bald trifft der 150. Todestag des Ge(l)ehrten! Als Dompropst hat man den knapp 80-Jährige 1873 in Augsburg zu Grabe getragen.
1708 war die Kaufmannsfamilie Allioli vom Nordwesten Italiens nach Sulzbach zugewandert. Rasch integrierte sie sich in die oberen Ränge der Stadtgesellschaft, stellte Magistratsräte, ja lieh sogar der Regierung Geld. Nicht so gut ging Bernhard Alliolis Zwischenspiel als Haagwirt: 1720 rügte der Rat den Urgroßvater des Geistlichen wegen allzu schmächtiger Bratwürste. Welch Sakrileg in der barocken Residenzstadt!
Der begabte Urenkel schrieb sich nach seiner Schulzeit in Sulzbach und München 1810 am Amberg Lyzeum ein, 1814 an der Universität Landshut. Dort traf er auf Johann Michael Sailer. Der Reformtheologe prägte Joseph Franz Allioli, entdeckte und förderte dessen Sprachentalent. 1816 in Regensburg geweiht, schickte man den jungen Priester nach kurzem Einsatz in der Seelsorge zu Spezialstudien nach Wien und Rom.
1821 zurück in Landshut, nahm der königlich begünstigte Nachwuchstheologe seine akademische Lehrtätigkeit auf. Nach einer Fortbildungspause in Paris dozierte Allioli ab 1824 als Professor für orientalische Sprachen, biblische Archäologie und Exegese (Bibelauslegung), mit Umzug der Landesuniversität ab 1826 in München. Als er dort 1830/31 Rektor war, brachen Studententumulte aus, die ihn freilich überforderten.
Berühmt waren seine Kurse in Arabisch und islamischer Mystik, zahl- und einflussreich seine wissenschaftlichen und geistlichen Publikationen. Der Sulzbacher gründete eine „Orientalische Gesellschaft“ und wurde in die Königl.-Bayer. Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Doch setzten gesundheitliche Gründe seiner universitären Laufbahn ein frühes Ende – 1835 wechselte er in den höheren Kirchendienst. Sehr pikiert war man allerdings, als er seine neue Regensburger Domherrnstelle lange nicht antrat und dies auf dringliche „biblische“ Arbeiten in München schob.
In der Tat hatte ihn 1824 Prof. Sailer gebeten, eine schon länger kursierende deutsche Bibelversion zu überarbeiten. Damit sollte die seit 1810 bei Seidel in Sulzbach gedruckte ökumenische „van Eß-Bibel“ (den römischen Behörden ein Dorn im Auge!) verdrängt werden. Dieses anfangs höchst diskrete, insgesamt diffizile und pikante Projekt wurde letztlich zur völligen Neuübersetzung, verzögerte sich mehrfach und forderte Allioli alle Kräfte ab. Alle? In München beschäftigte ihn außer der Bibel offenbar noch etwas ähnlich Diskretes, Intensives: die Beziehung zu einer Dame...
So lobte man Allioli 1838 nach Augsburg weg, wo er Dompropst wurde. Dort bewährte er sich in mancherlei Funktion sehr gut, ließ auch seine soziale und pastorale Ader kräftig schlagen, konnte aber kaum aus seiner etwas ‚speziellen‘ Haut. Als im Sommer 1855 sein Bischof starb, übertrug man ihm interimsweise die Bistumsleitung. Schon sah er sich als Nachfolger des Oberhirten, von seinem Patron König Ludwig I. darin bestärkt – da wurde ihm sein früheres Münchener Verhältnis zum Verhängnis. Schon damals gab es Whistleblower!
Vom Revolutionsjahr 1848 bis 1855 war der konservative Kirchenmann übrigens Mitglied des Bayerischen Landtags. Durch ungeschicktes Agieren und inhaltliche Fehlgriffe in der Debatte um die Judenemanzipation zog er sich dort den Zorn der Presse und eines renommierten Rabbiners zu, obwohl er ein begeisterter Meister des Hebräischen war. Nein: Allioli ist kein Held ohne Fehl und Makel, eher eine schillernde Figur mit vielen Licht- und Schattenseiten. Eine kritische Geschichtsforschung kann beides sehen und sortieren.
So gehört in Alliolis Persönlichkeitsprofil eben auch eine beispiellose Lebensleistung: seine Bibelübersetzung, ab 1830 in unzähligen Auflagen und Ausgaben verbreitet – von Volksdrucken und Schulbibeln über deutsch-lateinische Editionen bis hin zu Prachtausgaben. Mit päpstlichem Placet galt sie fortan als offizielle Standardversion, wurde selbst in Amerika für deutsche Auswanderer gedruckt. Der pädagogisch geschickte Geistliche schuf zudem ein umfassendes Studienwerk zur Bibel, das Generationen von Theologiestudenten die Hl. Schrift erschloss und im Beruf dann zur Vorbereitung von Unterricht, Predigt und Liturgie diente.
Populäre Publikationen zur Allioli-Bibel förderten landauf, landab das geistliche Leben vieler Familien. Bis 1965 kamen sprachliche Überarbeitungen auf den Markt. Sogar evangelische Firmen druckten 1905-1971 massenhaft den Allioli-Text. Kirchenamtlich wurde die Bibelversion des gebürtigen Sulzbachers letztlich erst 1980 durch die sogenannte „Einheitsübersetzung“ abgelöst: Ende einer 150-jährigen Erfolgsgeschichte aus der Feder eines vor 150 Jahren verstorbenen Ausnahmeautors! All dies sollten wir auch 2023 ff. nicht vergessen…

* Lese-Tipps: Allioli-Festschrift/Katalog von 1993 als Band 2 der Schriftenreihe des Stadtmuseums/-archivs Su.-Ro. noch erhältlich; s.a. Band 13/Bibelkatalog S. 176 ff. NEU: Markus Lommer, Vom Bibel-Chaos zum Bibel-Krieg? Wie die Heilige Schrift in Bayern unter die Räder der Kirchenpolitik geriet, in: Kirchinger/Unterburger (Hg.), Zwischen Barock und Ultramontanismus […], Berlin etc. 2022, S. 153-244, v.a. 203-235 (Info: https://www.peterlang.com/document/1248612; in der Stadtbibliothek greifbar).

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